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Kommuniziert offen: Abgehört werden ist keine Krankheit

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Gegen abgehört werden muss man sich schützen, wie gegen eine Krankheit, so die Meinung des Publizisten und Netzaktivisten J. Applebaum und seiner Mitstreiterin Jillian York auf der diesjährigen re:publica in Berlin. Falsch! Lesen Sie einen Meinungsbeitrag dagegen: Warum Verschlüsslung am Ende schädlich ist und warum die Gesellschaft andere Lösungen für das Problem finden muss.

Die Netzkonferenz re:publica kannte in diesem Jahr nur ein Mantra. Die Aufforderung: “Verschlüsselt eure digitale Kommunikation!” kam an mindestens einer Stelle in fast jedem Vortrag vor. Im Interview mit Hyperland bekräftigte die Netzaktivisten Jillian York, dass das abgehört werden wie eine Krankheit sei, gegen die man sich impfen müsse: “Nur wenn tatsächlich jeder geimpft wird, ist die gesamte Bevölkerung gegen die ansteckenden Krankheiten geschützt.” Beim Schutz mittels Verschlüsselung sei es genauso. Alle sollten daher Verschlüsselung benutzen, damit sie für diejenigen funktioniert, die sie am ehesten benötigen, beispielsweise Aktivisten oder Oppositionelle.

Gefahr einer Misstrauens-Epidemie

Doch sie liegen falsch, denn: Wir leben in Freiheit, gerade weil unsere Gesellschaft es bisher sehr gut geschafft hat, den Rechtsstaat vital zu halten und nicht, weil wir uns gegen seine Aktivitäten immer besser zu schützen wissen. Die geforderte Impfung durch Verschlüsselung würde am Ende zu einer Misstrauens-Epidemie führen und könnte das Aus der offenen Gesellschaft bedeuten.

Warum? Weil alle kulturellen, wissenschaftlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Errungenschaften des Menschen auf seiner Sprache und seiner überragenden Fähigkeit zur effizienten Kommunikation beruhen. “Sprache”, so heißt es im Wörterbuch der philosophischen Begriffe (*) “stellt den geistigen Zusammenhang zwischen den Sprechenden her und ist damit eine wesentliche Voraussetzung der Gemeinschaft.”

Indem nun unentwegt alle (Netz-)Experten die Verschlüsselung predigen, schaden sie am Ende Fortschritt und Freiheit und untergraben das Basisprinzip einer offenen Gesellschaft: Vertrauen.

Verschlüsselung von Kommunikation ist für den Menschen wie Fahrradfahren für Eisbären. Der Eisbär jagt die Robben nicht per Fahrrad, weil er damit zu langsam wäre und auf den glatten Eisschollen zudem ständig aufs seinen pelzigen Hintern fallen würde. Hätte der Mensch in der Steinzeit nicht angefangen, sich ein effizientes Zeichensystem auszudenken, um die Gedanken und Ideen in seinem Kopf seinen Mitmenschen mitzuteilen, er wäre – bei seiner sehr unzureichenden körperlichen Ausstattung – vermutlich in seiner Höhle verhungert.

Sprache als wichtigstes Werkzeug des Menschen

Es kam anders: Sprache ist zum wichtigsten und wirkungsvollsten Werkzeug des Menschen geworden. Die Schrift folgte später, dann der Buchdruck und zum Schluss die Digitalisierung. Das Internet schließlich feierte seinen Siegeszug wegen seiner Eigenschaft als alles überragende Kommunikationsmaschine. Soziale Netzwerke mit ihrer Teilautomatisierung von Kommunikation führten dann in den letzen Jahren zu einem menschlichen Mitteilungstsunami – den man gut oder schlecht finden kann – jedenfalls ist er gewollt: Der Mensch ist ein Plappermaul, er gefällt sich im Twittern, Texten und Posten und die allgegenwärtigen Smartphones beuteten nur: Überall ist Kommunikation mit jedem möglich. Ein Wolke aus Mitteilung umgibt uns jederzeit wie eine neue Atmosphäre – die Kommunikationsbarrieren aus dem analogen Zeitalter sind fast vollständig niedergerissen: Es entstehen übernationale Gemeinschaften aus Kultur und Wissenschaft.

Und hier will man nun mit einer Verschlüsselung einhaken? Wo wollte man ansetzen, wo moderne Kommunikation oft von vielen zu vielen stattfindet, mehr und mehr sogar via Bewegtbild? Dabei ist Schrift schon Verschlüsselung, Sprache ist schon ein Vorgang von Codierung und Decodierung. Jeder, der die Codes kennt, kann unmittelbar teilnehmen – das ist ja gerade der große Vorteil von Sprache und synchronem Austausch von Information.

Verschlüsselung wäre dem Menschen zuwider

Verschlüsselung wäre dem Menschen und seiner Natur daher zuwider: Er will stattdessen mehr, schneller und effizienter kommunizieren. Verschlüsselung hieße, sich der Macht der Abhörer zu unterwerfen und sich ihren Regeln zu beugen. Verschlüsselung bedeutet Rückschritt: Freiheit und offene Kommunikation würden in geschützte Ecken zurückgedrängt. Sie würden komplizierter, spärlich – sie fänden nicht mehr spontan, sondern nur noch geplant statt. Die offene Kommunikation bliebe dann allein den Belauschern überlassen. Es ist zudem eine Illusion, gegen ihre mächtigen Werkzeuge der Spionage ankämpfen zu können. Und würden wir wirklich anfangen, umfassend zu verschlüsseln, wäre das gleichzeitig der Beginn eines teuren Wettrüstens zwischen Überwachern und Überwachten – wer kann das wollen?

Stattdessen müssen wir auf politischer Ebene gegen diese Überwachungskultur ankämpfen und für die Offenheit streiten. Genau hier hat die Politik bislang auf ganzer Linie versagt, wie Sascha Lobo in seiner Rede zur Lage der Nation eindrucksvoll belegte: Jeder Enthüllung durch Edward Snowden folgte eine mit politischer Passivität verbundene Beschwichtigung aus Berlin. Es gab weder Konsequenzen noch Sanktionen aus dem fragwürdigen Vorgehen unserer Partner in den USA und Großbritannien. Trotzdem kann die Konsequenz daraus nicht Verschlüsselung sein – sondern im Gegenteil: der offene Kampf für die offene Gesellschaft.

(*) Wörterbuch der philosophischen Begriffe; Johannes Hoffmeister


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